RINI TANDON | LIA

RINI TANDON | LIA

Rini Tandon
LIA

Raumbilder

RINI TANDON: Installation und Objekte
LIA: code>machine>video

Vernissage: Samstag, 12. Oktober 2024
Theoretische Begleitung: Christa Benzer

Ausstellung 13. bis 27. Oktober 2024
FINISSAGE: 27. Oktober, 17:00–19:00 Uhr
Special im Rahmen der Finissage:
Die Aufführung der 360°-recoded-Version von LIAs generativem Video mit Sound von Damian Stewart.

grafzyx-tandon-lia-vs
Vernissage

Fotos: Claire de Foucault

RINI TANDON und LIA im TANK.3040.AT
Christa Benzer

Mit Rini Tandon und LIA haben Inge Graf und Walter Zyx auch 2024 zwei sehr eigenständige künstlerische Positionen für ihre Ausstellungsreihe im TANK.3040 ausgewählt. Der imposante Ausstellungsraum bietet beiden genügend Platz zur Entfaltung und durch die strikte Aufteilung wir erst gar kein vermeintlich reibungsloses Übergehen von Inhalten inszeniert.

 

So verschieden ihre Arbeiten sind, so verschieden sind auch ihre Annäherungen an die Mechanismen der Wahrnehmung, und doch gibt es ein paar Gemeinsamkeiten: denn beide Künstlerinnen bedienen sich Erkenntnissen der Naturwissenschaften wie der Biologie, der Physik oder Mathematik und beide verlinken die analoge mit der virtuellen Welt: Bei Tandon ist das vielleicht weniger offensichtlich als bei LIA, allerdings spielt auch bei ihr das Nachdenken über den Einfluss des Digitalen auf unser Denken und Tun eine Rolle.

 

Für die Arbeiten beider Künstlerinnen ist zudem zentral, wie sich die Welt/der Raum/die Umwelt konstituiert – durch wie viele räumliche und zeitliche Koordinaten, durch welche Relationen von Körpern und Objekten, durch welche Bewegungen – damit wären wir auch schon bei dem offensichtlichen Unterschied: denn während sich die Bilder von LIA bewegen und ständig neue Perspektiven aufmachen, fordern die skulptural-installativen Werke von Rini Tandon die Besucher*innen auf, sich um sie herum zu bewegen, um so auch die feinen Irritationen – etwa die leichte Neigung der Arbeit The Birth of Space wahrzunehmen.

 

Dass einige der Skulpturen von Rini Tandon an Forschungsarbeit erinnern, kommt nicht von ungefähr: Wie auf dem Labortisch werden von ihr Überlegungen angestellt und zu ihrer Beantwortung unterschiedliche Materialien, Medien, Techniken und Werkzeuge herangezogen: da wird geformt, gefeilt und gebohrt und bildhauerische Fragen zu Material, Volumen und Proportionen genauso thematisiert wie wahrnehmungsspezifische oder auch dringliche, u.a. ökologische, Probleme modell- und prozesshaft bearbeitet.

 

Anstelle illustrativer Mittel setzt Tandon bei ihrem Tun auf offene Formen, die zwischen Abstraktion und Narration, zwischen dem Handgefertigten und dem industriell Produzierten, zwischen dem Ausschnitthaften und Ganzen, zwischen Intuition und Kognition, zwischen dem Materiellen und Immateriellen usw. changieren.

 

Letzteres ist hier in Form des Wortes „Breath“ materialisiert, es hängt wie eine Art Sprechblase über der Arbeit The Birth of Space. Es ist in Rini Tandons‘s Oeuvre nicht das erste Mal, dass ich mit dem Atem/der Atemluft diesem schwer fassbaren Medium begegne: Breath Field titelte bereits eine Arbeit in ihrer Ausstellung in der Galerie Raum mit Licht 2010. Es handelte sich um eine tischähnliche Struktur, auf der sie eine Plexiglashaube auf einer teils durchlöcherten Platte mit anderen Gegen- und Widerständen in Beziehung setzte. Es ist die Vorläuferarbeit von The Birth of Space, die sich mir 14 Jahre Co2-Austoß später noch einmal neu oder ganz anders erschließt: schließlich ist die Atemluft mittlerweile noch delikater und gerade aufgrund der Verschmutzheit wahrnehmbarer geworden. Liest man das Wort „Breath“ – das durch die Hängung und Materialität eine höchst performative Qualität hat – reagiert der Körper fast automatisch und atmet ein und aus.

 

Dass im Zusammenhang mit seelischen, aber auch diversen körperlichen Zuständen bewusster geatmet wird, kennen wir alle, und doch hat das Atmen in der westlichen Philosophie nie eine große Rolle gespielt. Als Teil der Arbeit The Birth of Space definiert das gemeinsame Atmen, die gemeinsame Atemluft gewissermaßen die Bio-sphäre, die unseren Lebensraum konstituiert. Edith Kollath, eine Künstlerin und Autorin, die sich mit dem Atmen/der Luft als Kommunikationsmedium befasst, stellt in einem ihrer Essays[1] das Gedankenexperiment an, dass die Atem/Luft ein Archiv allen Lebens zu allen Zeiten auf diesem Planeten ist. Es geht ihr darum, Luft als eine Leihgabe zu betrachten, die durch die Körper aller Lebewesen geschleust wird: Es ist ein Medium, in dem sich niemand isolieren kann, der aber – wie Tandons leichte Neigung der Arbeit vermittelt – bereits spürbar aus dem Gleichgewicht ist.

 

Hung in the Meandering titelt eine weitere Arbeit Tandons, von der man ebenfalls körperlich affiziert wird: Über einer scheinbar wild-chaotischen, scheinbar instabilen Struktur von Holzstäben hängen zusammengezurrte, rote Schläuche, wie sie im Oeuvre von Rini Tandon immer wieder auftauchen. Es ist das Ready-Made-Material, das die Künstlerin interessiert, aber auch die Form der Hülle, die einen fließenden, der Länge nach unbegrenzten Raum –ohne Brenn- oder Bezugspunkt, ohne Innen und Außen, Ein- oder Ausschlüsse – definiert.

 

Der Skulptur geht ein Arbeitsschritt voraus, den Tandon das „Zerlegen des Realen im Medium der Zeichnung“ nennt. Es geht ihr bei ihren phänomenologischen, spatialen Erkundungen dementsprechend um Vorstellungen von Räumlichkeit, die jenseits von realer Anwesenheit oder Erfahrbarkeit liegen: to spaces unsigned liest man in der Vertiefung der Arbeit A Message to Unfold – sie ist an jene „Möglichkeitsräume“ adressiert, die noch nicht kategorisiert, definiert und vereinnahmt sind. 

 

Auf einer Arbeit, die in ihrem Oeuvre zu den wenigen gehört, auf der sie selbst zu sehen ist, hat man den Eindruck als wäre sie gerade einem solch „unsignierten“, noch nicht zur Gänze erschlossen, nicht fassbaren Raum entstiegen: Sie hält darauf einen Kelp, eine riesige Meeresalge, vor ihren Körper, um deren Materialität und Größe zu demonstrieren. Für die Arbeit I am Ocean VI (es gibt ab 1992 bis heute Versionen) hat sie die ursprüngliche Fotografie wie ein organisches Gewebe behandelt und mehrere Transformationen durchlaufen lassen: das Negativ der Fotografie wurde farbgespiegelt und die digitale Version auf eine gummierte Leinwand gedruckt. Ähnlich wie die Struktur des Kelps wurde diese dann mehrmals durchlöchert und vor ihrem Körper ein weiteres Mal aufgespannt – im TANK.3040 ist wieder eine Weiterentwicklung zu sehen, die jedoch alle vergangenen Stadien noch in sich trägt.

 

Medialen Transformationen wie diese sind fixer Bestandteil von Rini Tandon‘s sehr überlegter, sich immer wieder selbst befragender Arbeitsweise. Ein weiteres, wiederkehrendes Element in ihrem Oeuvre sind „Löcher“, die stets Durchblicke auf andere mediale Zeit- und Raum-Ebenen ermöglichen: angefangen bei ihren frühen Ausstellungen in der Galerie Insam und einem Loch in der Galeriewand über die roten Schläuche – die wie Wurmlöcher kleine Passagen durch Raum und Zeit bohren – bis hin zu den collageartigen, flächigen Cut Outs.

 

Die hier präsentierte Version aus der Reihe Echo Location mit dem Titel A Parasitic Construction of Space verweist auf eine weitere Dimension: „Echo Ortung“ meint eigentlich die Fähigkeit von Tieren, etwa Fledermäusen, Schallwellen auszusenden und aufgrund ihres Echos den sie umgebenden Raum, Hindernisse, Nahrung etc. im Dunklen orten zu können.

 

Bei Rini Tandon materialisieren sich diese für Menschen nicht wahrnehmbaren Wellen in Form von Baumstämmen, die an dünnen Fäden hängend den Raum quasi materiell ertasten. Sie wirken als würden sie schweben und weisen an mehreren Stellen parasitäre Strukturen auf – eine Art virtuelle Veredelung, wobei mich die kubischen Wucherungen an Pixel erinnern: So als könnte der Blick hineinzoomen in die materielle, physische Welt, die längst mit dem Virtuellen verwachsen ist.

 

Vom Verweis auf das Virtuelle in Rini Tandons Werk möchte ich gerne zu LIAs Arbeit Black or White or More or Less übergehen, für das ich mir ein Zitat von Rini Tandon ausgeliehen habe: „Ich beziehe mich nicht auf ein Zentrum, sondern auf eine sich bewegende Peripherie“.

 

Einen den Raum von den Rändern her betrachtenden Ansatz findet man auch bei LIA, da auch die Arbeit Black or White or More or Less keinen Mittelpunkt hat. Vielmehr wandern die Augen auch im TANK.3040, an den LIA die Arbeit angepasst hat, über unendlich viele, rechteckige weiß-schwarze Flächen, die sich ineinander verschieben und so kaum überschaubare, dezentralisierte Räume aufmachen.

 

Auch wenn die Arbeit tonlos ist, sei hier erwähnt, dass LIA zu den der Pionier*innen der österreichischen Softwareware- und Internetkunst gehört, die Anfang der 2000er-Jahre die sogenannten Austrian Abstracts geprägt haben: Dabei handelt es sich um audiovisuelle Werke, bei denen elektronischer Ton und elektronisches Bild den Künstler*innen und Musiker*innen als gleichwertige Komponenten galten.

 

Es ging darum bekannte visuelle Muster, gewohnte musikalische Harmonien, aber auch die Bild-Ton-Synchronisation zu zerlegen und ganz bewusst Fehler und Störungen einzubauen. Norbert Pfaffenbichler, der sich als Kurator um die Kunstform verdient gemacht hat, schreibt 2003 im Katalog zur Ausstellung Abstraction Now[2], wo auch Arbeiten von LIA zu sehen waren, „dass die Künstler*innen und Musiker*innen die Rauheit des Mediums genau zu dem Zeitpunkt herausgearbeitet haben, als die digitalen Technologien und ihre Möglichkeiten der Bildretusche immer perfekter wurden“.

 

Es ging darum, eine „alternative“ Computerästhetik jenseits der glatten, kühlen Oberflächen zu entwickeln, und dieser konzeptuelle Vorsatz bedeutete auch, dass man sich nicht einfach vorgefertigter Bildbearbeitungs-Software bedienen konnte: Demensprechend schreibt LIA seit Mitte der 1990er-Jahre die Software für ihre Arbeiten selbst: Das heißt, dass der Computer den von ihr geschriebenen Code verarbeitet und in ein grafisches Muster übersetzt – auf diese reagiert sie dann in einer Art Dialog so lange, bis sie mit dem visuellen Output des Rechners zufrieden ist.

 

Als maßgebliche formale Einflüsse bezeichnet LIA die OpArt, insbesondere Bridget Riley, der sie auch die Arbeit Homage to Bridget Riley gewidmet hat, sowie den Minimalismus.

 

Der verspielte Titel Black or White or More or Less lässt zwar durchaus ein gewisses Augenzwinkern, eine gewisse Distanz zu den allzu hehren, minimalistischen Grundsätzen – wie Objektivität oder Nüchternheit – vermuten, allerdings werden die visuellen Informationen – dem Minimalismus entsprechend, mit einfachen geometrischen Formen, mit Gittern und Rastern sowie Hell/Dunkel-Kontrasten auf ein Niedrigstmaß heruntergedreht.

 

LIA hat die Arbeit vor einigen Jahren an der Fassade eines Museums in Taipeh installiert, wo man allein aufgrund der Blickbewegung von unten nach oben großstädtischen Strukturen assoziiert. Hier im Innenraum werden solche konkreteren Assoziationen (von Schaltkreisen bis zu einem Maschinenraum) beim längeren Hinsehen immer stärker von den wahrnehmungsspezifischen Auswirkungen – wie der Auflösung der Linearität der Bilder bis hin zur Instabilität der gewohnten Raumkoordinaten – abgelöst.

 

An dieser Stelle möchte ich gerne zum Ende und zu einer letzten Gemeinsamkeit der beiden Künstlerinnen kommen: denn beide Werke vervollständigen erst die Betrachter*innen.

 

Sie müssen anwesend sein, wenn sie erfahren wollen, was LIAs Auflösung der üblichen Raum- und Zeitkoordinaten mit ihrer Wahrnehmung tut; sie müssen um die Installation Hung in the Meandering von Rini Tandon herumgehen, wenn sie beim Betrachten (anders als beim starren Blick auf das Handy!) einen eigenen Zeit- und Raumrhythmus finden wollen. Und sie müssen vor Ort sein, wenn sie spüren wollen, wie sich die performative Energie des Wortes „Breath“ überträgt.  

 

[1] https://www.transcript-verlag.de/media/pdf/20/a1/4b/oa9783839473221.pdf

[2] Norbert Pfaffenbichler: Abstraction Now. Vom Tafelbild zum Rechenprozess. Anmerkungen zum Phänomen der Abstraktion in der Gegenwartskunst, in: Abstraction Now, Edition Camera Austria, Graz, 2004