Renate Kordon

Renate Kordon

Renate Kordon

_walking on my spaceship

Die künstlerische Arbeit von Renate Kordon umfasst ein polymorphes, mit Stilbegriffen kaum fassbares Spektrum von Techniken und Medien. Es reicht von der Zeichnung, von satirischen Comics und psychogrammatischen Bild- und Objektserien über experimentelle Trickfilme bis zu baulichen Interventionen im öffentlichen Raum. Die Monografie Lebenslinien bietet eine Synopsis des über Jahrzehnte entwickelten Œuvres, geprägt von der Dialektik des Rational/Objektiven mit dem Surreal/Subjektiven, des Materiellen mit dem Spirituellen – von der Verschiebung vordergründiger Realität in alternative Wirklichkeiten geistig/seelischer Zustände.

Vernissage: Samstag, 13. Juni 2015

Theoretische Begleitung: Otto Kapfinger

Aus der Rede zur Eröffnung der Ausstellung
Otto Kapfinger

Diese Ausstellung von Renate Kordon läuft unter dem Motto: Walking on My Spaceship. Drei Film-Settings unterschiedlicher Dimension und zwei objekthafte Interventionen möblieren die Halle in einer fein ausbalancierten Choreografie. Das Motto stammt von dem Lineament dunkler Stahlstäbe, die hier vorne im Raum, wo er sich ganz verglast zum Garten öffnet, am Boden liegen. Es zeigt uns eine stilisierte weibliche Figur mit Handtasche, die zwischen Sternen und Planeten über eine linsenartige Form hinwegläuft, – wohl eine Art Luftschiff, oder ein UFO. Wir können diese Stahl-Zeichnung als ein Selbstporträt der Künstlerin lesen, als eine Selbstreflexion. Was wäre dann für sie jenes Raumschiff, das sie – und damit auch uns als Betrachtende – durch Raum und Zeit transportiert? Es ist zweifellos die Fantasie, – die Imagination! Und wir wandern an ihr entlang und mit ihr frei durch Raum und Zeit, so wie in dieser Stahl-Zeichnung die weibliche Figur mit und auf den Linien von einer Welt zu anderen spaziert – grenzenlos.

 

Renate Kordon hat als Künstlerin in den siebziger Jahren vor allem mit Cartoons begonnen, mit Serien linearer Zeichnungen und kurzen Trickfilmen. Diese Strich-Cartoons, von einem bekannten französischen Verlag publiziert, waren Satiren über alltägliche Sujets und Objekte. Mit simplen schwarzen Linien illustrierten sie alles Mögliche: lustvolle, absurde Metamorphosen, wo alltägliche Dinge sich ins Groteske verwandeln, wo aus sinnvollen, – aus normalerweise sinnvollen Figuren und Gegenständen kompletter Unsinn entsteht, und wo aus solchem Nicht-Sinn dann ein überraschender, kritischer, humorvoller Möglichkeits-Sinn aufblitzt – und Heiterkeit.

 

Das Potential der autonomen, der frei agierenden Linie hat Renate Kordon immer gepflegt. Die Linie ist eine primäre menschliche Kulturleistung, eine Abstraktion, die alles sein kann, vieles bedeuten kann – und genau das manifestiert sich überall in Kordons Arbeit. In vielfältigen Medien und Maßstäben kommentiert sie die ständige Bewegung unserer Wahrnehmung und der sie begleitenden Gedanken – und irritiert sie zugleich deren normative Bedeutungsmuster. Im Trickfilm findet dieses vibrierend Bewegte, der vitale und unberechenbare Bewegungsdrang der Linien ins ideale Metier. Es war dies das Thema ihres ersten großen Trickfilms 1980 – Hors d’œuvre. In Neulengbach zeigt sie davon eine miniaturisierte Fassung als digitale Film-Brosche, präsentiert in Spezial-Verpackung, schwebend unter Plexiglaskugeln. Eine davon sehen Sie, in Aktion, am Revers meines Sakko. Hors d’œuvre, fünf Minuten lang, ist die pausenlose Metamorphose eine simplen Linie, die mit den unwahrscheinlichsten Formen spielt – und mit unseren Sehgewohnheiten. Aus einem hüfthohen Stoß von Zeichnungen auf A-4-Papieren wurde da ein Kunstwerk, das als solches kein Objekt mehr ist, sondern Film – eine Illusion, „real“ für unser Empfinden – und zugleich gänzlich ungreifbar in Raum und Zeit.

 

Derartige Phänomene haben Renate Kordon immer fasziniert, und sie hat damit in vielen analogen Techniken gearbeitet und experimentiert. Eine solche Verräumlichung von Film-Illusion sehen Sie im hinteren, hermetisch dunklen Bereich der Halle: Trickptychon, eine überlappend auf die Betonwände und den gleichfarbigen Boden projizierte Filmsequenz. Es ist eine digitale Variante einer ursprünglich als analoge Film-Installation in der Wiener Secession gezeigten Raumarbeit. Kordon hat das Medium Film in solchen Settings oft selbstreflexiv eingesetzt und damit konventionelle Anwendungen überschritten. Statt der einfachen Projektion hat sie etwa Zwei- oder Dreifach-Projektionen in der Fläche oder in Raumwinkeln übereinander gelagert, wodurch seriell kombinierte, raum- und zeitversetzte Bildfolgen entstanden. In der Secession war Trickptychon eine multimediale Choreografie mit 16mm Farbfilm. Eine dreißig Meter lange, in sich geschlossene Filmschleife – umgelenkt über Spulen an der Raumdecke – durchlief auf Podesten verteilte Projektoren, was einerseits eine den Raum durchwandernde, glitzernde Film-Streifen-Skulptur ergab – und andererseits eine über die Raumecken „gebrochene“, mehrfach überlagerte und endlos bewegte Bildfolge. Im Graf+Zyx Tank hier sehen Sie eine erweitere Fassung, nun mit digitalen Beamern von der Decke erzeugt, mit der Besonderheit, dass hier auch der Boden einbezogen ist. Da er den gleichen Grauwert wie die Wände hat, verwischen die suggestiv wandernden, stark farbigen Projektionen die Grenzen zwischen horizontal/vertikal, und egalisieren optisch die gegensätzlichen, konkreten Raumfakten.

 

Eine andere Spielart der Kino-Situation ist Kordons Vogel-Kino – hier in der Raummitte zu sehen, in dem dank Minimal-Elektronik ein Beamer im Zündholzschachtelformat ein geheimnisvolles, poetisches Guckkasten-Objekt innerlich illuminiert. Eine andere Variante ist die schon erwähnte Film-Brosche, – ein als Schmuckstück am Körper tragbarer Film.

 

Die Bewegung der Linie, die Bewegung der Formen hat bei Renate Kordon noch ganz andere Dimensionen angenommen. Ich denke da an das größte Werk, das sie realisiert hat, Windspiel Spielfeld. Wer je auf der Autobahn von Graz über die Grenze nach Marburg gefahren ist, hat es gesehen. Es ist gut 76m breit und 17m hoch – vom Wind bewegte Formen im Luftraum über der Grenzstation. Und noch größer ist eigentlich ihre Jahreszeitenuhr Schottwien. – auch ein „site specific work“, bei dem eine Autobahnbrücke als Schatten-Geber funktioniert und die Sonne als die Lichtquelle, und wo der daraus entstehende Schattenstrich 130 m unter der Brücke auf der Hauptstraße des Ortes – in seinem durch die Rotation der Erde erzeugten Wandern – an markanten Tagen des Jahres erfasst und farblich bezeichnet ist.

 

Bewegung und Metamorphose sind Themen, die Kordon in verschiedensten Medien zur Geltung bringt. Sie folgt darin Maximen, welche die Moderne als neue Grundlage der Kunst definierte. Als vor hundert Jahren das Abbilden der Wirklichkeit obsolet wurde, beschrieb Wassilij Kandinsky dies so: „Kunst bildet nicht ab. Es gibt keinen ästhetischen Gegenstand mehr, sondern den ästhetischen Zustand. Das Geistige, der geistige Zustand, das ist die Kunst und nicht das schöne Objekt.“

 

Ein typisches Beispiel solcher ortsspezifischer Evokation war vor einigen Jahren Kordons Arbeit im Kulturzentrum bei den Minoriten in Graz, wo sie eingeladen war, die Wände der großen Stiegenhalle zu bespielen. An Ort und Stelle fand sie: das Schönste, das Lebendigste in der prächtigen Halle ist das schmiedeeiserne Geländer aus der Barockzeit – veritable Kunstwerke: labyrinthisch verschlungene Ornamente und Arabesken. Ihre Idee war dann, diese in ein Gespräch zu ziehen, indem sie ihnen an den weißen, hohen Wänden ringsum neue, verwandte Stahl-Lineamente gegenüberstellte. So entstand die Serie der Stahl-Zeichnungen. Aber damit nicht genug. Denn sie hat diese Halle dann mit Fotos dokumentiert, die Fotos als endloses, rotierendes Rundum-Bild im Computer gespeichert. Und sie erweckte dort, im Virtuellen, die an den Wänden fixierten Stahlzeichnungen als Trickfiguren zum Leben, ließ die schwarzen, dann auch eingefärbten Linien durch den Raum und die Geländer tanzen, bei den Fenstern hinaus und wieder herein. Und dieser Film wurde einige Räume weiter, in der Galerie selbst, mit einem Monitor vor einer weißen Wand gezeigt, auf der die Stahl-Zeichnung Walking on my Spaceship befestigt war, – wo sich die Schleife dieser ganzen Intervention in eine weitere Dimension entfaltete und zugleich auf ihren Anfang zurückverwies.

 

Auf den ganz anderen Raum, die bündige Beton-Architektur der Halle hier in Neulengbach hat Kordon, wie schon angedeutet, ebenfalls speziell reagiert. Dieser glasklar geformte Graf+Zyx Tank ist doch ein Think Tank, eine Versuchsstation zum Nachdenken darüber, was Kunst heute sein sollte oder könnte. Wir erinnern uns: die klassische Moderne negierte das Bild, die Statue und dergleichen als ästhetische, objekthafte Ware und wollte mit Kunst direkt ins Leben, in Lebensäußerungen und -zustände eingreifen. In der Richtung gibt wohl auch diese Halle ein Statement, eine Richtschnur. An den Sichtbetonwänden kann nichts befestigt werden, kein Nagel eingeschlagen werden, nichts angeklebt werden. Es gibt keine Lichtdecke wie im üblichen White Cube, und auch der Boden ist tabu. Es ist ein beschichteter Betonboden, auf dem man gehen und was hinstellen kann, wo aber nichts mechanisch fixierbar ist. Es ist also ein Kunstraum, der die konventionelle Kunstform verwehrt, und darum ist es in Wahrheit ein Laboratorium, um sich damit auseinanderzusetzen und zu zeigen, wie man darauf antworten kann.

 

Kordons Antwort, die drei skizzierten filmischen Interventionen ergänzend, war zum einen: was normalerweise an der Wand hängt oder eben woanders fixiert ist, liegt hier am Boden. Das Raumschiff, das da gezeigt ist, Walking On My Space Ship, liegt am Boden und ist umgrenzt von auch bloß hingelegten Alu-Metall-Rohren, die als einziges weiteres Material im Raum sonst funktionale Gestänge und Pulte bilden. Im gedanklichen, im kosmischen Raum, im Weltraum gibt es ohnehin kein Oben und Unten; Der Boden, wenn es überhaupt einen gibt, ist nicht wichtiger oder unwichtiger als die Decke oder die Wand, alles ist gleichwertig, die Schwerkraft ist (fast) verschwunden …

Und zum anderen, an der linken Seitenwand vorne: die Rudel-Flucht der Bilderrahmen – leere Holzrahmen, mit weißer Gaze umwickelt, auf dünnen Stahldrahtbeinen, die in hektischem Gedränge, im leicht chaotischen Lauf-Pulk dem Ausgang zustreben. Bilderrahmen-Kunst hat hier keinen Platz – das hat die Künstlerin mit dieser Objektgruppe visualisiert, als Zustand subtil sichtbar gemacht. Solch feiner Witz, solche auch selbstironische Leichtigkeit, die Situationen und Sachverhalte auflösende Ambivalenz – all das sind durchgängige Konstante im Œuvre, im Werk einer vielseitigen Künstlerin.