Gunter Damisch | Graf+Zyx

Gunter Damisch | Graf+Zyx

Gunter Damisch
Graf+Zyx

Strategische Komplemente I

Die Ausstellung ist das Startprojekt der Reihe Strategische Komplemente.

 

Mit Bildern, Objekten, Musik und Film/Video wird ein Bogen aus den verschiedenen Schaffensbereichen der Künstler gespannt.

 

Ihr künstlerischer Ansatz – spontan und intensiv – hat sich aus Punk und New Wave der 1970er und 1980er Jahre befreit und sie in ein unbegrenztes Universum der Gestaltungsmöglichkeiten geführt – graustufige oder farbenkräftige Werke in einem Spannungsfeld zwischen künstlichen organischen und geometrischen Formen.

Vernissage: Samstag, 3. Oktober 2015

Theoretische Begleitung: Edelbert Köb

Gunter Damisch | Graf+Zyx
Edelbert Köb

Eine Ausstellungskonstellation Graf+Zyx | Gunter Damisch drängt sich im Jahr 2015 nicht gerade auf. Ist das Gemeinsame der Künstler_innen mehr als die Kunst selbst – im Sinne eines stillen Einverständnisses „Kunst ist Kunst und alles Andere ist alles Andere“ (Ad Reinhard) oder eines pragmatischen Verständnisses von „Kunst ist, was im Kunstbetrieb der Fall ist“? Es ist mehr, es verbindet sie auch die Zugehörigkeit zu einer Generation, zu einer Zeit, einem Ort, einer Szene, deren „Atmosphären“. Ihre künstlerischen Anfänge wurzeln im selben Biotop, im Wien der 80er Jahre. Ein wenig ist auch der Verfasser dieser Zeilen als damaliger Präsident der Wiener Secession Teil einer größeren gemeinsamen Vergangenheit.

 

Seither ist einige Zeit vergangen – so an die 25 Jahre. Wir blicken also zurück in die Aufbruchszeit der sogenannten jungen wilden Malerei, einem durchaus nicht nur österreichischen Phänomen. Gunter Damisch war von Anfang an einer ihrer auffälligsten Proponenten und ist bis heute die „Zwangsmitgliedschaft“ zu einer gleichnamigen – letztlich von Experten erfundenen Gruppe – nicht losgeworden: Anzinger, Brandl, Bohatsch, Damisch, Scheibl, Zitko, etc. Diese Liste kann fast beliebig erweitert werden. Geschadet hat ihm das sicher nicht. Gruppenbildung gibt gerade neuen Bewegungen mehr Durchschlagskraft. Das Zusammengehörigkeitsgefühl der Künstler_innen scheint mir jedenfalls in dieser Zeit größer gewesen zu sein, als heute. Kooperationen auf vielen Ebenen und unterschiedlichster Art waren en vogue. Auch Paarbildungen wie die von Inge Graf mit Walter Zyx waren keine Einzelfälle.

 

Die Malerei dominierte also damals das Geschehen in Wien. Tat sie das aber nicht schon vorher? Und was war das Neue nach den Informellen rund um die Galerie nächst St. Stephan und den Wiener phantastischen Realisten? Vergessen wir auch die „Neuen Wirklichkeiten“ nicht! Es war wohl die allgemein spürbare neue Energie, die Internationalität der Bewegung, das daraus entstehende Wir-Gefühl und die Aufbruchsstimmung. Befördert auch durch die damals aktuell vorhandene Breite an Talenten. Jedenfalls schienen nun die Tage des resistenten Wiener Akademismus endlich gezählt und auch die ideologischen Barrieren zwischen Figuration und Abstraktion endgültig überwunden. Vieles war jetzt möglich, auch in andere Richtungen als in die einer befreiten neoexpressiven Malerei. Diese aber hat die Schleusen geöffnet. Unterschiedlichste künstlerische Individualitäten fanden sich vorerst im selben Boot.

 

So waren etwa Graf+Zyx in der JUNGEN SZENE WIEN von 1984, einer zweijährlichen Talente Show der Wiener Secession, noch mit einem großformatigen Bild vertreten. Dessen Titel: „Ich würd‘ gern auf den Fidschi Inseln viele wilde Bilder pinseln“. Das Großformat von durchaus gekonnter Leichtigkeit war dann doch eine ziemlich verhaltensauffällige Arbeit im Umfeld der eher ironiefreien Szene der sogenannten „Neuen Wilden“. Die hier bereits sichtbar werdende Distanz zur klassischen Disziplin der Malerei ließ Graf+Zyx dann auch bald neue Wege einschlagen. Anders als Gunter Damisch, der sich zur selben Zeit schon längst entschieden hatte, dieser Disziplin die Treue zu halten, mehr noch in ihr rückhaltlos aufzugehen. Das aber erst nach reiflicher Überlegung und ernsthaften Versuchen in ganz andere Richtungen. Also beileibe kein alternativloser Paintre Maudit! So hat er beispielsweise schon 1982 in der Karlsplatz-Passage eine multimediale Arbeit auf Basis einer computergesteuerten Diaprojektion realisiert, mit Sound und Textzitaten aus Filmen unterlegt. Dass er auch bei der Künstlerband Molto Brutto mitgewütet hat, dürfte eher bekannt sein. Da gibt es also neben der Malerei auch noch ganz andere Berührungspunkte in den Werkentwicklungen von Damisch und Graf+Zyx: Sound und bewegte Bilder!

 

Für Interessierte an junger Kunst führte, jedenfalls in diesen 80er Jahren, kein Weg an Gunter Damisch und Graf+Zyx vorbei. In der Zwischenzeit haben sich die Künstler_innen nicht auseinandergelebt, wie ihre gemeinsame Ausstellung beweist, aber in sehr unterschiedliche künstlerische Galaxien hinein entwickelt. „Ja, stimmt schon“, sagte mir Inge Graf, „aber es gibt trotzdem einen gemeinsamen Kosmos. Unser Konzept ist: Jeder bringt Werke, die wir nach ästhetischen Kriterien hängen und stellen. Es wird nichts beschriftet, die Besucher dürfen rätseln, was die Werke bedeuten, vor allem von wem sie sind“. Das Gemeinsame der Kunst, gegen das Trennende unterschiedlicher individueller Sprachen sichtbar zu machen, ist also die – der Ausstellung beziehungsweise der neuen Ausstellungsreihe – zugrunde liegende Idee. Die „Strategischen Komplemente“ starten gleich mit einem Extremversuch scheinbar gegensätzlichster Positionen. Hier der Maler, Zeichner, Grafiker, Bildermacher, Plastiker, ein vor allem seine Medien selbst reflektierende Künstler par excellence, der bewusst deren traditionelle Grenzen nicht überschreitet, keine Ausbrüche in einen sogenannten erweitertem Malerei- und Skulpturenbegriff unternimmt! Dort die kämpferischen Vertreter einer trans- und multimedialen, gesellschaftsbezogenen Projektkunst.

 

Vertiefung und Verfeinerung seiner klassischen künstlerischen Mittel, Gefühl, Sinnlichkeit, Intuition und Prozessualität haben bei G. Damisch Vorrang gegen Kalkül und Konzept. Falsch, sie haben nicht Vorrang, sondern dieser wird ihnen vom Künstler bewusst eingeräumt, von einem Künstler, der sein Tun hochgebildet und durchaus selbstkritisch im Kontext der Kunstgeschichte und der Gegenwartskunst reflektiert. Einer, der sich aber gerade deshalb auch nicht scheut, in einem Interview das romantische Bild vom Gärtner zu bemühen, Metaphern vom Pflanzen, Wachsen und Ernten zu verwenden. Facit im Rückblick: sein Garten ist dicht, die Pflanzen wuchern, die Artenvielfalt ist enorm, die Ernte reich. Wichtig: Obwohl er mit so vielen Gärtnern konkurriert, ist sein Garten trotzdem unverwechselbar und von hoher Eigenart.

 

Die letzten beiden Sätze könnte man genau so auch über das völlig unterschiedliche Werk von Graf+Zyx sagen. Wenn diese aber selbst feststellen, dass ihre „… gestalterischen Vorgangsweisen und Entscheidungen auch heute noch Verwirrung ins nach wie vor reaktionäre Regelwerk des Verdauungs- und Vermarktungsapparates von Kunst bringen …“, oder auch, dass ihr „… künstlerisches Spektrum … als Beispiel … für ein erfolgreiches Vorbeiarbeiten an kulturellen Massenphänomenen und gerade populären Identifikationsmustern stehen kann“– dann wird doch irgendwie deutlich, dass in dieser Ausstellung äußerst unterschiedliche Galaxien aus dem Kosmos der Kunst zusammengeführt werden. Ist doch gerade Gunter Damischs zentrales Medium, die dauertotgesagte Malerei, immer noch ein Massenphänomen und das populärste Identifikationsmuster der Kunst. (So sollen beispielsweise 80% der international erfassten, wichtigsten privaten Kunstsammler_innen hauptsächlich Malerei sammeln).

 

Was hat es unter solchen Umständen noch mit dem von Inge Graf zitierten gemeinsamen Kosmos der Kunst als gemeinsamen Nenner der Ausstellung auf sich. Kosmos ist nach Wikipedia ident mit Weltall oder Universum. So gesehen, hat Inge Graf natürlich recht: Im ganz großen Blick gehört ohnehin alles zusammen, ist eben alles und jedes, auch Kunst, Teil der vorgefundenen Anordnung von Materie und Energie. Eine schöne neue Definition von Kunst, für die uns ja längst jede exakte Begrifflichkeit abhanden gekommen ist! Doch Scherz beiseite, Gunter Damischs Werk ist im Wesen kosmologisch, seine Malerei ist durchströmt von einem ganzheitlichen, überzeitlichen Lebensgefühl, seine Makro- und Mikrokosmen wachsen aus der Verschmelzung von Materiellem (Malerei) und Immateriellem (Idee). Graf+Zyx Werk dagegen spiegelt die Jetztzeit, die Bilderflut der Informationsgesellschaft, sie reflektiert das Hier und Heute der Gesellschaft und des Kunstbetriebs, sie ist transmedial bzw. medial offen. Also nur ein weiterer Gegensatz? Nicht wenn man Heraklits Methapher „Alles fließt“ für die Einheit der Dinge bemüht. Prozessualität als Schlüssel zum Weltverständnis, die Welt als Prozess von Werden, Vergehen, Transformation und Mutation! Wandel und Bewegung zeigen sich nämlich im Fluss der Malerei, im wuchernden Dickicht von Weltwegen und floatenden Wesenheiten der malerischen und skulpturalen Bildfindungen von Damisch ebenso wie im Strudel der sich überblendenden Bilder, Zeichen und Symbole der Videoinstallationen von Graf+Zyx. Endgültig klar wird die Ausstellungsidee, wenn die gemalten und die projizierten, die stehenden und die bewegten Bilder sich in der Ausstellung bei Aufführungen permanent überlagern. Aber auch durch den Vergleich der – beiden Proponenten gleichermaßen eigenen – komplexen und verschlüsselten Zeichen- und Symbolwelten, die bei aller Unterschiedlichkeit, beispielsweise hier handmade und dort computergeneriert, frappante Wesensähnlichkeiten zeigen. Den Ausstellungsmachern kann also getrost bestätigt werden, dass es ihnen gelungen ist „… Schnittstellen zu schaffen, die die Arbeiten ungeachtet ihrer Urheberschaft, Formensprache und Intention verbinden und ihnen gemeinsame Bedeutungen und (Neu-)Interpretationen zuweisen“ (Konzepttext Graf+Zyx).

EDELBERT KÖB
Kurator, Kunstpublizist und -vermittler
1974–2000 Professor an der Opens external link in new windowAkademie der bildenden Künste Wien (1985–1995 und 1997–2001 Prorektor)
1982–1991 Präsident der Opens external link in new windowWiener Secession
1990–1999 Gründungsdirektor des Opens external link in new windowKunsthaus Bregenz
2002–2010 Direktor des Opens external link in new windowmumok Museum Moderner Kunst Stiftung Ludwig Wien