Wisniewski | Wais | Graf+Zyx

Wisniewski | Wais | Graf+Zyx

Jana Wisniewski
Josef Wais
Graf+Zyx

StilbruchAG : Phantasie X Nutzen

Vernissage: Samstag, 20. April 2013

Theoretische Begleitung: Carl Aigner

Das Eine ergibt das Andere
Rückblick als Ausblick
Carl Aigner

Am 20. April 2013 eröffnete das Künstlerpaar GRAF+ZYX in Neulengbach bei Wien, ihrem definitiven Wohnort seit 2011, wo sie sich seit 2000 ein neues Domizil aufbauten, den Atelier- und Kunstraum »TANK 203.3040.AT«. Die Zahl 203 figuriert die Hausnummer, die Zahl 3040 die Postleitzahl von Neulengbach. Der Terminus »Tank« skizziert das semantische Feld von Behälter, Behältnis, Panzer bis hin zu Inhaltlichem wie etwa Energie [und assoziiert möglicherweise auch den US-Comic »Tank Girl und dessen SF-Verfilmung von Rachel Talaly 1995]«. Dieses neue, vollständig von GRAF+ZYX konzipierte, finanzierte und gebaute Gebäude sowie dessen gesamte Gestaltung und Innenausstattung, versteht sich nicht mehr als klassisches Atelier, knüpft aber an dessen ursprüngliche Bedeutung von »Werkstatt« an. Im Spannungsfeld von Produktionsstätte, Laboratorium und Präsentationsort, also Ausstellung, richtet sich der Fokus auf eine gesamtkünstlerisch verstandene Arbeitsweise, die von der Idee, der Konzeption, Planung, handwerklicher Realisierung bis hin zur ästhetischen Gestaltung alle Werkprozesse umfasst.

 

Mit der retrospektiven Ausstellung beziehungsweise Präsentation der »StilbruchAG« wurde dieser Künstlerort im Spannungsfeld von lokal und global nicht nur eröffnet, sondern gleichsam im speziellen Rückblick auf die Projekte der StilbruchAG das Terrain für zukünftige Vorhaben projiziert. Der Name der Rückschau ist »die Formel«, mit der GRAF+ZYX, JOSEF WAIS und JANA WIESNIEWSKI seit den späten 1980er Jahren immer wieder zusammengearbeitet haben. Im Zentrum stand dabei das so genannte »Künstlermöbel«, womit ein interdisziplinärer Brückenschlag zwischen Kunst und Design realisiert wurde.

 

Die Künstlermöbel waren sozusagen das Amalgam und gleichzeitig auch der »Sauerteig«, mit dem in oft revolutionärer und höchst avancierter Weise jedwede traditionelle Gattungs- oder Genregrenzen definitiv überschritten und überwunden wurden. Seit der Gruppengründung während der inzwischen legendären, von Jana Wisniewski kuratierten Ausstellung »Wohnlust« im Künstlerhaus von 1986/87 und mit den folgenden, immer wieder spektakulären Teilnahmen an verschiedenen kommerziellen und traditionellen Möbelmessen in Salzburg und Wien gelang es der StilbruchAG regelmäßig, die Grenze zwischen Kunst und Alltag zu überwinden. Die im Hinblick auf Aufmerksamkeit und Staunen erfolgreiche Rezeption der selbst gefertigten Künstlermöbel eröffneten nicht nur einen utopischen und subversiven Raum für künstlerisches Gestalten in den 1980er Jahren [und scheiterten weniger an den »Konsumenten« als letztlich an der damals alles andere als mutigen Möbelbranche bzw. deren Produzenten, denn von den KünstlerInnen wurden sehr wohl Serienproduktionen ins Auge gefasst, da sich die Arbeiten nicht im Kunstghetto bewegen sollten], sondern sind signifikant für das künstlerische Selbstverständnis dieses Jahrzehnts generell. Der Name »StilbruchAG« meint eben in durchaus höchst provokanter Weise einen Stilbruch des gängigen traditionellen Verständnisses von »Möbel« und Kunst.

 

Dabei geht es nicht um einen bloß erweiterten Kunstbegriff, wie er spätestens seit Marcel Duchamp die gesamte Kunstentwickelung des 20. Jahrhunderts charakterisiert [Extended Art, Extended Cinema, Extended Photography etc.], sondern um ein neuerliches Vorhaben, Kunst und Alltag zu verschränken, wie wir es seit dem Bauhaus und der Wiener Werkstätte kennen. Mit dem wesentlichen Unterschied, dass dabei Fragen nach einer skulpturalen, plastischen Qualität ebenso eine Rolle spielen, wie das Aufkommen der Neuen Medien und ihren Anforderungen etwa in ihre formalen Gestaltung und Integration in so genannte Wohnmöbel.

 

Einsehbar wird dies weniger mit dem in den 1990er Jahren modisch gewordenen Begriff des »Crossover « und der »Vernetzung«. Vielmehr sind es die aufregenden und oft erstaunlichen Künstlerbiographien, die eine wesentliche Grundlage für die neuen Entwicklungen schufen. Paradigmatisch stehen dafür die Lebensläufe von GRAF+ZYX., die nicht mehr mit inter- sondern nur mehr mit transdisziplinär adäquat beschrieben werden können. GRAF, aus Neulengbach stammend, absolvierte verschiedenste Ausbildungen, ehe sie Anfang der 1980er Jahre an der damaligen Hochschule für Angewandte Kunst in Wien bei Oswald Oberhuber studierte und 1985 mit Diplom abschloss. Schon in den späteren 1970er Jahren begann ihre Auseinandersetzung mit Film und Fotografie. ZYX studierte zunächst klassische Violine, indische Musik in Italien, Psychologie und Philosophie an der Universität in Wien, ehe er zu elektronischer Musik und zur Musikproduktion selbst fand; darüber hinaus begann er 1980 mit experimentellen Videoarbeiten.
Seit 1980 arbeiten die beiden ausschließlich zusammen und erweiterten ihr Arbeitsspektrum im Bereich des Bildnerischen von der Photographie, dem Film, der Grafik rasch und radikal: hin zu mediensynthetischen Programmen, Video- und Computerkunst [siehe dazu etwa die Publikation »Computer- Bilder« der »Fotogalerie Wien« 1988], aber auch in Folge im Bereich von Web-Design. Die neue Möglichkeit von Virtuellen Räumen begann, ihr Werk neu zu konstituieren und zu erweitern, wie die »Raumkonstruktionen« in den frühen 1990er eindrucksvoll zeigen. Wie überhaupt neben der Präsentation die zur Eröffnung von »Tank 203.3040.AT« vorgelegte Übersichtspublikation »STILBRUCH AG 1987–1991 die Werke des Künstlerpaares sowie die Arbeiten von Josef Wais und Jana Wiesniewski aufschlussreich vermittelt.

 

»Man kultiviert das, was man ist«, formulieren es GRAF+ZYX treffend, wenn sie über die Zukunft ihres »TANK« raisonieren und reflektieren. Mit dem Anspruch, die Werke noch immer selbst produzieren zu wollen ist »TANK« einerseits als Künstleratelier konzipiert; andererseits sind im Kontext der heutigen digitalen Vermittlungsinstrumentarien neue Anforderungen und Möglichkeiten gegeben, die das Selbstverständnis des Künstlerischen immer wieder transformieren, insbesondere, wenn man nicht trendorientiert zu arbeiten bereit ist, sondern neues Terrain zu sondieren. Die Öffnung des Ateliers als Schau-Platz für aufregende Kunstprojekte ist ein Weg zur weiteren Transdisziplinarität, das permanente Ausloten der je eigenen künstlerischen Potentiale eine unentwegte Herausforderung an sich selbst als Künstler. Ein polyvalenter Raum als Ort des Künstlerischen, der sich nicht mehr als romantisches Atelier versteht, sondern als Laboratorium des Gesellschaftlichen und Kreativen und dies nicht in einem großen Zentrum, sondern im Zentrum des Regionale und Lokalen – an jenem Ort, wo Egon Schiele mit seiner künstlerischen Radikalität seine ersten großen Werke geschaffen hat – welch ein Kontext, wenn man bedenkt, dass die Zukunft Europas in seinen Regionen liegt, wie es immer nachdrücklicher heißt.

 

Blickt man heute auf die Werke der StilbruchAG, so ist man erstaunt über die unglaubliche Frische, den Mut, jede Grenze hinter sich zu lassen, den unbändigen Willen, neue künstlerische Kontinente zu erobern und nie in eine ideologische Arbeitsweise zu verfallen. Das sind nicht gerade die schlechtesten Ingredienzien, mit denen GRAF+ZYX ihr »TANK«-Projekt in Fahrt kommen lassen können – die ersten Vorhaben dafür sind schon in Realisierung. Mögen die Ortungen in vieler Hinsicht gelingen, wir benötigen sie notwendiger denn je angesichts globaler Entwicklungen und lokaler Desorientierungen!

CARL AIGNER
1991 Gründung der internationalen Kunstzeitschrift EIKON
seit 1998 Hochschullehrer, unter anderem auch an der Universität für angewandte Kunst Wien
1997–2003 Direktor der Kunsthalle Krems
Projektleiter der Abteilung Kulturwissenschaften an der Donauuniversität Krems
Seit 2001 Direktor des Landesmuseums Niederösterreich
Seit 2005 Präsident des österreichischen Zentrums des International Council of Museums [ICOM-Österreich]
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