Johann Jascha
Eric Kressnig
Strategische Komplemente III
Johann Jascha [Zeichnungen, Fotografie, Video]:
Einer der ganz frühen und konsequentesten Ignoranten engstirniger Dogmen und Grenzziehungen in der bildenden Kunst. Für manche mag er in den 1960er-Jahren ein anarchischer Rebell gewesen sein – jedenfalls hat er bis heute seine extreme künstlerische Eigenständigkeit durchgezogen und perfektioniert und ist der unverwechselbare Jascha geblieben.
Kraftvoll spontan in Zeichnung, Malerei und Skulptur, reicht sein gesamtheitliches Werk mit seiner exzessiv-performativen Körperarbeit und seinen radikalen Manifesten aber weit über die Grenzen des zwei- und dreidimensionalen Materiellen hinaus.
Eric Kressnig [Bilder, Objekte]:
Cool: Malerische und plastische Rechenoperationen: Planspiele mit „Farbe und Struktur, die auf mathematische, geometrische oder auch lexikalische Koordinatensysteme verweisen. Jeder Arbeit wird ein Konstrukt aus Farbe und Form zugrunde gelegt, aus dem ein Bildraum entsteht, der die zweite und dritte Dimension miteinander verschränkt“ [Katalogtext Martin Engler].
Zwei völlig unterschiedliche künstlerische Positionen also in einer Doppelschau, die aber wieder deutlich machen wird, dass es im allen Künstler_innen gemeinsamen Kosmos jede Menge Gemeinsamkeiten und letztlich keine Unvereinbarkeiten gibt.
Johann Jascha | Eric Kressnig
Alexandra Schantl
In Anbetracht des seit einiger Zeit inflationären Gebrauchs des Wortes „kuratieren“, das entgegen seiner ursprüngliche Bedeutung (lateinisch curare: sorgen für, sich kümmern um) heute im Kunstbereich oft nichts anderes bedeutet als die Macht der Entscheidung zu haben und als „Geschmacksverstärker“ zu wirken, ist der experimentelle, „anti-kuratorische“ Ansatz, den Graf+Zyx mit ihrer Ausstellungsreihe „Strategische Komplemente“ verfolgen, in der Tat sehr erfrischend. Sind doch die Gegenüberstellungen zweier künstlerischer Positionen, die auf den ersten Blick konträrer nicht sein könnten, explizit als Einladung an den Betrachter zu verstehen, eigene Reflexionen anzustellen anstatt ein übergestülptes kuratorisches Konzept nachzuvollziehen.
Auch im Falle von Johann Jascha (*1942) und Eric Kressnig (*1973), die schon allein generationsbedingt als Künstler völlig unterschiedlich sozialisiert sind, stellt sich die Frage, ob etwas namhaft gemacht werden kann, was die beiden verbindet beziehungsweise trennt. Ad hoc in den Sinn gekommen ist mir dabei das dualistische Begriffspaar des Apollinischen und Dionysischen, das ausgehend von Friedrich Nietzsches Analyse der griechischen Tragödie in der Kunst zugegebenermaßen oft bemüht wird. Nietzsche charakterisiert das Apollinische als eine Kunst des Maßes und des Traumes, die sich vor allem in bildnerischen Werken manifestiere. Wohingegen das Dionysische eine Kunst des Rausches und der Selbstvergessenheit sei, die vorrangig durch die Musik repräsentiert werde. Während das Apollinische also für Form und Ordnung stünde, äußere sich im Dionysischen ein alle Formen sprengender, von konkreten Dingen abgelöster Schöpfungsdrang, der zu einer Übersteigerung des Individuums führt.
Demnach sehe ich das apollinische Prinzip in der Kunst Eric Kressnigs verwirklicht, die, durchwegs einer geometrischen Formensprache verpflichtet, mit ihrer exakten Ästhetik und „cleanen“ Materialität an die Tradition der konkreten Kunst und der Minimal Art anknüpft. Seine Werke bewegen sich im Spannungsfeld von Malerei und Skulptur, Fläche und Raum, Bild und Objekt, wobei sie sich einem kategorischen Entweder-Oder konsequent entziehen und dadurch Fragestellungen aktualisieren, die die Kunst seit den 1960er-Jahren immer wieder beschäftigen. Kressnig geht es dabei gleichermaßen um das Ausloten von Gattungsgrenzen wie um das Hinterfragen von Wahrnehmungsprozessen, sodass es – ähnlich wie bei der Op-Art – wesentlich darauf ankommt, seine Werke aus möglichst verschiedenen Blickwinkeln zu betrachten, um sich ihrer räumlichen Ambivalenz gewahr zu werden. Denn was Kressnig uns mit seinen freistehenden oder an der Wand hängenden Bildobjekten vor Augen führt, sind „[f]aszinierende Verwirrspiele, die Räume öffnen und zugleich verschließen, den Betrachter ins Bild locken, nur um diesen (Bild)Raum umgehend hermetisch in die Fläche zu bannen. Komposite Bildarchitekturen, die sich gegenseitig neutralisieren.“ Die spezifische Bildwirkung, der immer auch ein Moment subtiler Irritation innewohnt, beruht jeweils auf einem bestimmten Kalkül, das der Künstler jeder seiner Arbeiten zugrunde legt. Es basiert auf dem Konzept modularer Systeme und folgt den Prinzipien der Ordnung und Permutation.
Fast 30 Jahre älter als Eric Kressnig gehört Johann Jascha einer Generation an, die den revolutionären Geist der 1960er- und 1970er-Jahre nicht nur miterlebt, sondern auch maßgeblich mitgeprägt hat. Bekannt geworden mit seinen Schreiaktionen und anderen aktionistischen Auftritten als Mitglied der experimentellen Architekturgruppe „Salz der Erde“, verkörpert er das dionysische Prinzip. Zu den frühen Aktionen gehört etwa „Jaschas Geburtung“, die am 13. Februar 1970, seinem 28. Geburtstag, im Atelier von Helmut Zobl stattfand. Indem er schreiend eine über eine selbstgebaute „Klogebärmuschel“ gespannte Latexhaut durchstieß, gebar er sich selbst in die Gesellschaft. Dieser ersten Schreiaktion folgten einige weitere im halböffentlichen und öffentlichen Raum wie zum Beispiel 1972 bei den olympischen Sommerspielen in München. Der Schrei, so Jascha, dient der Ichverstärkung: „Die Abfolge, Melodie, Dramaturgie und Rhythmik einer Schreiaktion ist aus den Tiefen des Seins kommend, archaisch. Von gewalthafter Entladung bis zu feingewinselter Bedrängtheit, von kraftholendem Luftschnappen bis zu entatmendem Röcheln. Jede Charakteristik innerhalb der Schreiaktion wirkt wie ein Medikament von innen, mit dem Ziel: FREI zu werden für die Größe des Seins, die Offenheit des Lebens, die Paradoxie des Alltags.“ Ähnliches gilt für die parallel entstehenden Fotosequenzen wie zum Beispiel „Griff ins Ich“, die Jaschas Gesicht zur Plastik werden lassen, indem er es mit seinen Händen deformiert und antiästhetisch gestaltet, um so die eigenen Aggressionen sichtbar zu machen beziehungsweise zu sublimieren. Jaschas Leitsatz „Ich bin mehrere“ manifestiert sich nicht nur in seiner mimischen und stimmlichen Wandlungsfähigkeit, sondern findet nicht zuletzt in einem vielfältigen Oeuvre Niederschlag, das über die performative Körperkunst hinaus auch malerische, plastische und vor allem zeichnerische Arbeiten umfasst. Die Zeichnung steht Jaschas Körperkunst insofern besonders nahe, als die oft ins Ekstatische übersteigerte Motorik des Körpers hier eine unmittelbare Übersetzung findet.
Dr. ALEXANDRA SCHANTL
Kunsthistorikerin,
Sammlungsleiterin des Bereichs „Kunst ab 1960“ in den Landessammlungen Niederösterreich,
von 2012 bis 2015 künstlerische Leiterin von ZEIT KUNST NIEDERÖSTERREICH.